Auf eine ziemlich kurze Nacht folgt ein sehr langer Tag: Was eigentlich ohnehin so etwas wie das inoffizielle Motto des ganzen Forums ist, bekamen die meisten von uns zum ersten Mal an diesem Samstag so richtig zu spüren. Das allererste Hallenbad-Clubbing und die Afterparty im Jakober am Freitag, beides unter reger niederösterreichischer Beteiligung, hatten definitiv ihre Spuren hinterlassen, als wir morgens schon etwas verspätet zur Hauptschule und unseren Seminaren hinunter-„eilten“. Und das anstehende Programm war extrem dicht gedrängt.
Auch am dritten Tag der Seminarwoche gab es bei mir keinen Grund, meine Kursauswahl zu bereuen. Am Vormittag ging es in „Transitional Justice“ zur Sache: Im Turnsaal der Hauptschule wurde Krieg gespielt. Angreifer jagten Opfer durch den Saal und zerstachen deren Luftballons mit Kugelschreibern, während Beschützer versuchten, ihnen zu helfen, und eine große Gruppe (die internationale Gemeinschaft) nur zusah und nicht eingriff. Von 25 Opfern behielten nur vier ihren Ballon (und damit ihr Leben), der Rest war „tot“. In der anschließenden Diskussion hagelte es gegenseitige Schuldzuweisungen. Die Identifikation mit den verschiedenen Gruppen von Kriegsbeteiligten war so stark, dass Seminarleiterin Sheila Meintjes nochmal daran erinnern musste, dass es ja nur eine Simulation war. Aus Learning-Sicht war das Spiel damit aber definitiv erfolgreich.
In meinem Nachmittags-Seminar „Timescapes of the 21st Century“ zeigten Ulrike Felt und Judy Wajcman wieder eindrucksvoll verschiedenste Perspektiven auf Zeit und ihre Rolle in der Gesellschaft auf, an diesem Tag mit einem Fokus auf „Zeit und Demokratie“.
Nach Seminarende um 17 Uhr ging es für alle schnell wieder den Berg hinauf ins Apartment, da eine Stunde später bereits der nächste Termin anstand: Ein vom Club Niederösterreich organisiertes Kamingespräch mit der muslimischen Religionspädagogin und Funktionärin Carla Amina Baghajati und ihrem Mann, dem bekannten Imam Tarafa Baghajati. Die beiden stellten sich eine Stunde lang durchaus kritischen Fragen zum Islam und österreichischen Muslimen. Das Interesse war groß, es entwickelte sich eine recht breite und spannende Diskussion.
Gleichzeitig liefen aber auch bereits die Vorbereitungen auf den Rest des Abends auf Hochtouren. Denn um 21 Uhr begann der mit Spannung erwartete „International Evening“ im Congress Centrum, bei dem die Vielfalt der über 700 StipendiatInnen des Forums gefeiert wurde. Besonders deutlich wurde sie, als nacheinander alle 78 Herkunftsländer aufgerufen und – ohne Ausnahme – heftig beklatscht wurden, während sich die StipendiatInnen bemerkbar machten. Dann folgte das eigentliche Herzstück: Die zehn in den letzten Tagen vorbereiteten Performances, die in Form von kurzen Theaterstücken, Videos, Musik und Präsentationen gesellschaftlich relevante Themen aufgriffen. Es war beeindruckend, wie viel Kreativität, Witz und Überlegung in so kurzer Zeit in diese Projekte gesteckt worden war. Alle Beiträge wurden unglaublich positiv aufgenommen.
Nach dem letzten Beitrag begann gegen 23 Uhr dann die große Völkerwanderung praktisch aller StipendiatInnen zur Party im Hallenbad. Deren Besonderheit war neben ihrer massiven Überfüllung eine Kulinarik-Meile, auf der alle Initiativgruppen und Clubs Spezialitäten aus ihren Regionen anboten. Der Niederösterreicher-Tisch erwies sich dabei als sehr beliebt. Neben am Samstag frisch gebackenem Marillenkuchen gab es Butterbrote mit Marillenmarmelade, Mohnzelten, Marillenschnaps, Most, Spritzer und – als besondere Attraktion – die „Burning Marillen“, in höherprozentigen Alkohol getunkte und entzündete Marillenstückchen. Es folgte noch eine weitere sehr lange Nacht, über deren Details zum Wohle Aller an dieser Stelle geschwiegen wird.
von Michael Unger