Die Kanzlerin in Alpbach, ein Sarg und die Sustainable Development Goals

„Die Kanzlerin ist da!“, seit ihrer gestrigen Ankunft geht es wie ein Raunen durch Alpbach. Brigitte Bierlein verkörpert für viele die Antithese zur vorherigen Regierung – Skandalfreiheit, Kompetenz und eine effiziente, handlungsorientierte Regierungsführung. Wir begegnen ihr heute gleich zweimal: Zunächst eröffnet sie mit einer kurzen Rede die prominenteste Breakout Session der Alpbacher Politikgespräche zum Thema „Promoting the SDGs in Europe with a Global Mindset“ und am Nachmittag veranstaltet der Club Alpbach Niederösterreich noch ein exklusives Kamingespräch mit ihr. In ihrer offiziellen Rede geht es – natürlich – auch um den Klimaschutz. Die Klimakrise ist wohl das heurige Hotspot-Thema Nummer eins in Alpbach. Immer wieder drehen sich unsere Gespräche und Diskussionen um die Zukunft unseres Planeten. Spätestens seit den Fridays For Future-Demonstrationen wird das Thema in einer zuvor so noch nicht dagewesenen Dringlichkeit diskutiert. Auch der ehemalige österreichische Bundespräsident Heinz Fischer und der vormalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon kommen in ihre Redebeiträgen auf den Klimaschutz und die Bürde der jungen Generation zu sprechen.

„I may not have any hope for current leaders, but at least we must foster global citizenship among the young leaders of tomorrow”, sagt der Vater der Sustainable Development Goals (SDGs) Ban Ki-moon mit einer Mischung aus Resignation und Zukunftshoffnung. In der anschließenden Podiumsdiskussion darf das Publikum immer wieder mit abstimmen, etwa darüber, was ihrer Meinung nach, die wirkungsvollsten Maßnahmen sind, um dem Klimawandel entgegenzuwirken – die allermeisten liegen falsch. Unter den „Top 20 Solutions“, die Chad Frischman, Vizepräsident der Umweltorganisation Drawdown, präsentiert, befinden sich etwa: Einschränkung der Kühlsysteme (massive CO2-Emittoren), Windturbinen, Essensabfälle reduzieren, vegetarische Ernährung, aber auch Frauenbildung und Familienplanung.

Das Spannende ist, laut Frischmann, aber, dass sich die Effektivität dieser Ansätze auch insofern verändern kann, je nachdem worauf wir Menschen uns konzentrieren wollen und wie weit wir bereit sind, uns in den jeweiligen Bereichen einzuschränken. Falls die Mehrheit aller Menschen sich nur noch vegetarisch und regional ernähren würde, dann hätte das beispielsweise eine viel größere positive Auswirkung, als nur einen geringen Teil aller Kühlsysteme abzubauen.

Mit neuen Perspektiven und doch einem Berg voller Probleme, stolpern wir wieder hinaus in die grelle Mittagssonne. Vielleicht kurz in einen der Liegestühle auf die Wiese setzen und die dringlichsten Probleme der Menschheit für einen Moment rasten lassen? Prompt läuft einem dort Ex-NEOS Chef und Gründer Matthias Stroltz über den Weg, der einen Sarg mit der Aufschrift „Memento Mori“ durch Alpbach trägt. Wohl Teil einer größeren Aktion, mit der er Leute an ihre Sterblichkeit und die Dringlichkeit bewusst und intensiv zu leben, erinnern will.

Am Nachmittag treffen wir uns alle wieder zum Kamingespräch mit Brigitte Bierlein, die auf die Minute pünktlich und gut gelaunt zur Fragestunde antritt. „Man sollte überhaupt nicht mehr thematisieren müssen, ob ein Mann oder eine Frau diese Rolle ausfüllt“, sagt sie auf die Frage, wie es eigentlich ist, die erste Bundeskanzlerin Österreichs zu sein. Und doch ist ihre Handtaschen- und Schuhwahl in der Presse zuweilen das größere Thema, als ihre inhaltliche Politik, wie sie einräumt. Demokratie muss nicht ruhig sein, sondern braucht Innovation, auf allen Ebenen, gibt sie uns noch mit auf den Weg, bevor sie zum nächsten Termin weiter muss. Schnell noch ein Gruppenfoto mit der Kanzlerin, dann zerstreuen wir uns wieder: Noch zu einem Vortrag, einem weiteren Kamingespräch, zum Yoga auf der Wiese, oder doch ein Abendspaziergang durchs Dorf?

Den krönenden Abschluss des Tages stellt dann die Law & Politics Reception im Alpbacherhof dar, einer der wohl prominentesten Empfänge des Forums. Die Lektion des Abends: Selbstbewusstes Auftreten mit einer Prise Dreistigkeit bringen einen vielleicht nicht überall hin, aber immerhin in den Alpbacherhof!

von Dorina Marlen Heller