Alpbach und die ausgehebelten Gesetze der Physik

Der vorletzte Tag beginnt und etwas Reumütigkeit macht sich breit. Wir verstehen nicht, wie es nach den Gesetzen der Raum-Zeit sein kann, dass wir morgen schon wieder heimfahren müssen. Der Kosmos von Alpbach bewirkt mit seinen ständig aufeinander folgenden einzigartigen Ereignissen, dass man das Gefühl für das Hier und Jetzt völlig verliert. Gerade erst war man in einem Plenum zu Quanten-Computern und schon ist der gesamte Fokus auf dem Kamingespräch mit der Person XY. Wenn nur der Schulunterricht damals auch nur ein Viertel der Gravitationskraft auf meine Aufmerksamkeit ausgeübt hätte wie die Alpbacher Events hier es auf meine geistige Teilnahme tun, dann hätte ich mir wirklich viel Lernen erspart. Dieser Sog hier ist atemberaubend und hat dazu beigetragen, dass keiner es glauben kann, dass wir so plötzlich am Ende des Symposiums stehen.

Der Vormittag war mit einem Plenum eingedeckt, wo junge Menschen dem Publikum und einer Jury ihre Ideen vorstellen konnten. Die/der Gewinner*in bekam eine Finanzierungssumme für deren/dessen Idee. Es war wirklich beeindruckend zu sehen, wie junge Menschen die Probleme von heute mit konkreten, innovativen Ideen meistern wollten. Da könnten sich viele, mich einbezogen, eine Scheibe abschneiden.

Anschließend findet ein sehr kontroverses, aber ehrliches Plenum statt. U.a. am Podium sind die Europaministerin Karoline Edtstadler, der EU-Kommissar für „Promoting our European Way of Life“ sowie die ungarische Justizministerin Judit Varga. Für mich neu zu sehen war, dass es sich nicht an konkreten Maßnahmen des von der EU-Kommission vorgeschlagenen Migrationspapiers spießte, sondern wirklich divergierende Grundsatzeinstellungen dazu führten, dass man sich nicht einmal auf ein gemeinsames Ziel einigen konnte. Es bleibt spannend, wie es da weiter geht. Abschließend möchte ich jedoch noch eine Kritik zu der Veranstaltung benennen: Das Plenum hatte den Namen „Facing Europe’s Major Challenges“ und es wurde fast ausschließlich über Migration gesprochen. Man hatte somit das Gefühl, dass man gegen Ende des Forums nun doch wieder in die Mühen der österreichischen Tagespolitik geführt wird.

Weiter ging es am Nachmittag mit der ersten Pride am Forum Alpbach. Es waren sehr viele erschienen, einschließlich des Forum-Präsidenten sowie Politiker*innen, und an den Häusern hingen Regenbogenflaggen. Zwei sehr gute Redner von Taiwan und Russland machten auf die Lage in ihren Heimatländern aufmerksam. Taiwan war das erste asiatische Land, das die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt hat – und dennoch versucht man diesen Fortschritt weiterhin z.B. durch ein Referendum politisch zu bekämpfen. Der Russe hält uns EU-Bürger*innen einen Spiegel vor: Obwohl die Rechte Homosexueller in seinem Heimatland nur wenig ausgeprägt sind, wurde er am stärksten in seinem Leben in Mailand diskriminiert. Das hatte viele von uns zum Nachdenken angeregt.

Anschließend begab ich mich zum Kamingespräch mit Johannes Hahn, Kommissar für „Budget and Administration.“ Es war ein sehr aufschlussreiches Gespräch. Mich interessierte vor allem der neue Rechtsstaatlichkeitsmechanismus des Wiederaufbaufonds der EU, denn in den Medien wird dessen Effektivität sehr unterschiedlich kommentiert. Der Kommissar meinte zu dessen Wirksamkeit, dass es vor allem darauf ankommen wird, ob bei seiner ersten Anwendung, dieser auch exekutiert werden kann und nicht sofort von Gerichten gestürzt wird. Würde Letzteres eintreten, wäre die Glaubwürdigkeit und der Respekt dieses Werkzeugs stark beschädigt. Außerdem teilte er uns mit, dass bereits die ersten Anwendungen gegen Länder vorbereitet werden.

Am Abend war noch der Empfang des Bundkanzleramtes, das ein schönes Ausklingen vom Europäischen Forum Alpbach einleitete. Dort nutzten wir die Zeit, um ein wenig über Erlebtes zu reflektieren und um in das Hier und Jetzt, die Raum-Zeit-Gesetze der Physik, zurückzukehren…


von Sebastian Redl